„Die Naturgrenze“
29. April 2020 | Mag. Maximilian Lienhart
„Die Naturgrenze“
Mag. Maximilian Lienhart
29. April 2020
Wenn Grundstücksgrenzen nicht im Grenzkataster eingetragen sind und keine Vereinbarung über den Grenzverlauf zwischen den Nachbarn besteht, so wird der wahre Grenzverlauf im Streitfall nach möglichst unbedenklichen, objektiven Grenzzeichen, wie z.B. Grenzsteinen oder Grenzpflöcken bestimmt.
Wenn diese nicht vorhanden sind, muss auf Anzeichen zurückgegriffen werden, aus denen die natürliche Grenze abgeleitet werden kann. Dazu zählen vor allem Mauern, Zäune, Bäume und im Gelände ersichtliche natürliche Grenzlinien. Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob sich ein Grundstück in der Alm- und Bergregion oder in der Südsteiermark befindet. In einem Urteil des Obersten Gerichtshofes vom April 2019 hat sich dieser mit dem natürlichen Grenzverlauf zweier Almgrundstücke beschäftigt. Das Erstgericht stellte die Grenze, basierend auf den Vermessungspunkten, die von der klagenden Agrargemeinschaft als Grenze behauptet wurden, unter Berücksichtigung topografisch markanter Linien, fest. Das heißt, im Wesentlichen wurde der Grenzverlauf durch Unterschiede in den Geländeformen ermittelt. Die ersten Gerichtsinstanzen wiesen das Klagebegehren mit der Begründung ab, dass topografisch markante Linien für eine Grenzziehung nicht geeignet seien.
Der Oberste Gerichtshof hielt daraufhin ausdrücklich fest, dass die Grenzlinien, die aus dem Grundbuch ersichtlich sind, also die räumliche Einteilung nach dem Steuerkataster, nicht zur gerichtlichen Bestimmung einer Grenze heranzuziehen sind. Für den Grenzverlauf sind nicht die Papiergrenzen, sondern die Naturgrenzen maßgeblich, wenn dieser im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens festgestellt wird.
Im Anlassfall kamen für die Bestimmung des Grenzverlaufes auffällige in der Natur vorhandene Gegebenheiten, wie Gebirgs- und Böschungskanten, aber auch Bergrücken und Schluchten in Frage.
In einer Vielzahl von Fällen werden wir über unsere Klienten damit konfrontiert, dass der Grenzverlauf zu ihren Nachbarn anhand der Grenzverläufe, die aus der Grundbuchsmappe (Steuerkataster) ersichtlich sind, festgestellt werden soll. Manchmal stimmen diese mit den natürlichen Grenzen überein. Allerdings liegen die in der Natur ersichtlichen Grenzen, wie kleinere Böschungskanten oder die Auniwaud‘n oftmals mehrere Meter vom wahren Grenzverlauf entfernt.
Es ist in der anwaltlichen Beratung daher besonders wichtig die Klienten darauf vorzubereiten, dass sich im Rahmen eines Grenzstreites herausstellen kann, dass die gerichtlich festgestellte Grenze zu ganz anderen Ergebnissen führt wie ursprünglich gedacht.
Um den wahren Grenzverlauf daher bereits vor einer gerichtlichen Vorgehensweise einigermaßen ermitteln zu können, ist es sinnvoll, die Liegenschaft anhand von Luftbildern, die über das Eich- und Vermessungsamt bezogen werden können, im Verlauf der letzten Jahrzehnte zu beurteilen.
Wir raten Ihnen daher vor jeder Grenzberichtigung, egal ob gerichtlich oder außergerichtlich, gemeinsam mit der Rechtsvertretung Ihrer Wahl, die notwendige Hintergrunderforschung vorzunehmen, um den Ausgang des Verfahrens bestmöglich abschätzen zu können.